9. November 2024 

„Um unsere Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft mussten wir kämpfen!”

Petra Rosenberg, Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg, war zu Gast in Britz.

Die ersten 90 Minuten des diesjährigen Gedenkens am 9. November, dem Jahrestages der rassistischen Nazipogrome aus dem Jahr 1938, gehörten dem Film Gibsy. Er erzählt in verschiedenen Zeitebenen und Filmtechniken die Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland und verbindet diese mit dem persönlichen Lebensweg des Sintos und Boxers Johann „Rukeli” Trollmann. Er steht - trotz seiner Besonderheit als außergewöhnlicher Sportler - beispielhaft für den Rassismus, mit dem die Nazis die Sinti und Roma ausgrenzten und Völkermord an ihnen in den Konzentrationslagern systematisch organisierten. Eine dritte Ebene des Films, die Kommentierung des Lebens von Johann Trollmann im Rahmen eines Theaterstücks, aufgeführt von jungen Sinti und Roma, macht deutlich, welche Bedeutung der Widerstand auch des einzelnen gegen den Terror haben kann, selbst wenn dieser Widerstand nur symbolischen Charakter erlangt.

Foto während der Filmvorführung

Als Johann Trollmann der sportlich errungene Deutsche Meistertitel aus rassistischen Gründen vorenthalten wurde, wehrte er sich mit einer beispiellosen Aktion im Boxring gegen diese rassistische Entwürdigung und karikierte mit einer bizarren Selbstinszenierung in aller Öffentlichkeit die angebliche Überlegenheit einer „arischen Herrenrasse”. Für die jungen Schauspielakteure wurde er dadurch zu einem Vorbild, indem er, den persönlichen Untergang vor Augen, seine persönliche Würde bewahrte.
Wie wichtig diese Einstellung heutzutage für die Roma und Sinti in Deutschland ist, machte Petra Rosenberg im anschließenden Gespräch mit den mehr als 60 Anwesenden deutlich. Noch immer werden Roma und Sinti aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in vielen gesellschaftlichen Bereichen benachteiligt und ausgegrenzt.
Das folkloristische Bild von in Wohnwagen umherziehenden, musizierenden „Zigeunerfamilien”, die ihren Lebensunterhalt mit Besenbinden, Topfflicken, Scherenschleifen oder Kleinkriminalität verdienen und aufgrund dieser Unstetigkeit als bildungsferne Menschengruppe angesehen werden, prägt weiterhin im großen Maßstab die Vorstellung der Dominanzgesellschaft. Mit der Realität deutscher Sinti und Roma hat dieses jedoch nichts zu tun.
An dem Lebenslauf ihrer Familie, von der ein Großteil in den faschistischen Konzentrationslagern ermordet worden ist, sowie an ihrem eigenen Lebensweg zeigte Frau Rosenberg auf, dass die Integration der deutschen Roma und Sinti in der gesellschaftlichen Wirklichkeit weitgehend gelungen sei, aber dieses von der Mehrheitsgesellschaft nicht wahrgenommen werde.
Das falsche Bild einer weitgehend sich der zivilisatorischen Entwicklung widersetzenden, ihre Existenz nach eigenen Riten und Wertvorstellungen gestaltenden Parallelgesellschaft werde durch viele mediale Darstellungen in Bild und Wort immer wieder aktualisiert und verbreitet.

Podiumsgespräch mit Petra Rosenberg

Dagegen aufzutreten und das Bild zurecht zu rücken sei eine alltägliche, immer wieder aufs Neue anzugehende Aufgabe.
Zusammenfassend könne gesagt werden, dass die Integration nicht von der Mehrheitsgesellschaft und ihren politischen Vertretungen angetrieben worden sei, sondern es sei eine Eigenleistung der Sinti und Roma gewesen. Diese sei zudem immer wieder mit harten Kämpfen zur Überwindung der Widerstände verbunden.

Wie notwendig diese Grundeinstellung auch heutzutage ist, zeigt das Vorhaben der Deutschen Bahn und des Landes Berlin, das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma durch die Baumaßnahmen für eine S-Bahntrasse in seinem Gesamtbild zu beschädigen. Obwohl es alternative Lösungen gibt, bleiben diese aufgrund finanzieller Überlegungen unberücksichtigt. Der Bahn und der Berliner Politik ist offensichtlich ein über Jahrzehnte mühsam erkämpfter Erinnerungsort, der ein stilles Gedenken an die von den deutschen Faschisten ermordeten 500 000 Sinti und Roma ermöglichen soll, kein leicht erhöhter Kostenaufwand einer Alternativlösung wert.

Der Abend endete mit der Verabschiedung der folgenden Entschließung:

Die Anwesenden der Filmveranstaltung zur Geschichte des Sinto-Boxers Rukeli Trollmann fordern die Verantwortlichen im Vorstand der Deutschen Bahn bzw. in der Landes- und Bundespolitik auf, die Unversehrtheit des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma zu garantieren und für notwendige Baumaßnahmen eine alternative Trassenführung zu wählen.
Berlin-Britz am 9. November 2024


Hufeisern gegen Rechts bedankt sich bei allen, die zum Gelingen dieser Veranstaltung beigetragen haben, neben den Besucherinnen und Besuchern vor allem bei Petra Rosenberg für ihren engagierten und kompetenten Beitrag und bei Hannelore Knippel vom Britzer Bürgerverein für die Überlassung des Raumes.

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